Verlassen Sie die Erde jetzt
Eden
Die kantige Erde
eine Kugel
zerdrückt zwischen Händen
Menschen fallen durch
schwarze Löcher
auf eine Wiese mit
Schlüsselblumen und
sprudelndem Bach
ertrinken auf der Flucht
hungern werden gefangen.
Fallen zurück ins Paradies
zwischen Distel und Mohn.
Diesmal ist Gott gnädig
keine Schlange keine Äpfel
keine Pforten zur Welt.
Ein Garten Eden ewig Eden
die kantige Kugel flachgeklopft.
Die Menschen kringeln sich
vor Freude in Feriengondeln
Abenteuerrutschbahnen
in Schnee und Sahne
Coffee to go.
Gott macht seinen Frieden,
nimmt die Scheibe und
wirft sie in die Unendlichkeit –
Zettel
Verlassen Sie das blaue Land sofort.
Vergessen Sie, was in der Küche geschah.
Folgen Sie nicht dem grünen Mops.
Kaufen Sie auf Kredit Eier
von Käfighühnern.
Beachten Sie alle EU-Normen.
Verlassen Sie Ihr Zuhause.
Steigen Sie in die Züge.
Folgen Sie den Anweisungen.
Verlassen Sie die Erde. Jetzt.
Wir wünschen eine angenehme Reise.
Keinmal
Es war keinmal
dass der Zug hielt
Niemand einstieg
den Ort nicht kannte
und die Ansage nicht hörte.
Der Zug fuhr an
das Ende der Welt.
Ein einziges Keinmal.
Die Reisenden
lachten in ihre Fäustchen.
Auserwählt viel bezahlt.
Champagner und Kaviar.
Keinmal hielt der Zug.
Die Nacht verhängte die Blicke.
Es war einmal
dass der Zug hielt.Angesagt und pünktlich.
Sauber und mit Restaurant.
Die Reisenden stiegen ein.
Höflich die Zugbegleiterin.
Die Türen wurden geschlossen.
Die Kelle gedreht grün und Pfiff.
Der Zug fuhr an rasend leise
querfeldein ohne Gleise
ohne Halt ohne Ziel
über die Ränder der Erde.
Einmal hielt der Zug
in der verlorenen Zukunft –die Nacht verbarg das Elend.
( Aus: Nachtzüge – Gedichte und gefundene Zettel/J. Monika Walther)
Oberkommissar Dresemann
Wer sich durch die Amtsbezeichnungen der Polizei liest, also durch die Dienstgrade, die möglichen Laufbahnen,die sich an den Uniformen in Streifen und Sternen widerspiegeln, der kann vielleicht verstehen, wie Menschen, Männer den Ehrgeiz entwickeln, voranzukommen. Mehr Streifen, mehr Sterne, mehr Geld und vor allem mehr Macht zu erhalten. 2018 und auch schon wieder in 2019 war viel zu erleben, wie diese Macht missbraucht werden kann oder wie sie nicht im Sinne des Amtes genutzt wird. Da vergnügen sich Polizeibeamte an Filmen über den Missbrauch in Lüdge, da verschwindet Material, da muss sogar ein Kriminaldirektor des Amtes enthoben werden. Da beteiligen sich Polizisten an rechten Netzwerken. Da decken sich Kollegen gegenseitig. Alles menschlich, aber diese ansteigenden Dienstgrade haben auch etwas verführerisches in sich. Schon für einen meiner Großväter war es wichtig, wie weit er es als Quartiermeister im Deutschen Heer brachte: Feldwebel war besser bezahlt als Wachtmeister. Oberpostsekretär auf der Post in Leipzig durfte einen Amtsbereich leiten. Und später erlebte ich wie das Streben sich bei der Bundesbahn vom Inspektor hoch zu schaffen zum Amtsrat das ganze Leben bestimmte. Nahezu ausschließlich.
„Ehrsucht ist die Schwäche der Menschen, wegen der man auf sie durch ihre Meinung […] Einfluss haben kann. […] Sie ist nicht Ehrliebe, eine Hochschätzung, die der Mensch von anderen wegen seines inneren (moralischen) Wertes erwarten darf, sondern Bestreben nach Ehrenruf, wo es am Schein genug ist.“ Das dachte Immanuel Kant in der Anthropologie in pragmatischer Hinsicht.
Der Mensch ist für Kant ein Wesen, das ständig zwischen der Gesellschaft und der Ungeselligkeit schwankt. Er braucht die anderen Menschen, um seine Fähigkeiten zu entwickeln; ebenso hat er jedoch den Hang zum Eigensinn. Er will den Mitmenschen Widerstand entgegenzusetzen: einen Hang, aus dem die Trias Ehrsucht, Herrschsucht und Habsucht entsteht. Viel Stoff für das Leben und die Kriminalromane.
Der Philosoph Max Scheler (1874–1928) hat im Rahmen seiner Ressentimenttheorie den „Streber“ als den dominanten Sozialtypus der modernen Konkurrenzgesellschaft beschrieben. Angetrieben wird er von einem zum Ressentiment verfestigten Neid und einem zum Habitus gewordenen Wetteifer. Die „Sache“, um die er sich scheinbar bemüht, ist ihm im Grunde gleichgültig, letztlich geht es ihm nur um das Mehrsein und Mehrgelten.
Oberkommissar Alfons Dresemann ist weder von Schwäche und Gefühlen der Ohnmacht niedergedrückt, noch ein Streber. Er ist das, was er ist. Ein verheirateter Oberkommissar, 56 Jahre alt. Einfamilienhaus mit Garten. Einer, der gerne isst, der sich freut, wenn seine Frau für ihn kocht. Der sich über Familienfeste mit allen Kindern und Angeheirateten freut. Der sich auch freut, dass seine Frau ein Sozialkaufhaus aufgebaut hat, der für seine Kollegen und die Kommissarinnen ebenso kocht, wie für seine Frau.
Dresemann hat es in seiner Laufbahn nicht weit gebracht. Er hatte nie Lust daran, anderen zu sagen, was sie tun sollten. Bei den immer komplexer werdenden Ermittlungen fehlt ihm schnell der Überblick, aber er ist ein guter Teamplayer. Einer, der nicht nur Kaffee für alle kocht und Brötchen schmiert, sondern der bei Vernehmungen sehr gut den bad oder good Part geben kann. Vor allem aber weiß er über so gut wie alles Bescheid, was im Münsterland läuft, wer Dreck am Stecken hat, wer wann was mit wem mauschelte. Er hört zu, was geredet und erzählt wird. Manchmal sagt er einfach: So und so ist es, der und der ist der Böse. Die Behauptungen des Oberkommissars Dresemann, aber alle im Team wissen. Dresemann hat schon oft recht behalten, ganz ohne Beweise.
(JMW)
Das Ermittlerteam
Dore Vermeulen
Dore lacht gern. Sie liebt ihre Unabhängigkeit.
Dore Vermeulen wuchs in der Schaustellerwelt auf. Sie machte ihr Abitur, studierte Psychologie. Sie interessierte sich für Kriminalpsychologie, da es aber kaum Ausbildungsplätze, dafür tausend Hindernisse gab, ging sie an die Clownsschule in Münster. Sie wird für Festivals, Kinderfeiern und Jubiläen gebucht. Kinder hat sie keine. Sie wird ein kleines Erbe von ihrer Tante bekommen, in deren Haus sie im Winter lebt.
Seit acht Jahren besitzt sie ein wunderschön bemaltes geräumiges Reisemobil, ein Zirkusmobil und ist selbstständig. Das Unterwegssein hat ihr einmal die große Liebe genommen.
Ihr Auftritt auf dem Anwesen von Jellenkamps ist ein gut bezahlter Job, also reist sie an zum großen Kindergeburtstag, der ihr Leben verändert. Sie begegnet Kriminalhauptkommissar Jacob Witowski, der sie in sein Team holt. Gegen den Willen seines Chefs.
Jacob Witowski
Der Kriminalhauptkommissar leitet in Münster die Sonderkommission Mord und Gewaltverbrechen, die im Westlichen Westfalen vor Ort eingesetzt wird. Jacob Witowski wurde Polizist, weil er sich als Junge in eine Mitschülerin, eine Türkin, verliebt hatte. Sie wurde von einer Gang zusammengeschlagen. Niemand half Dana und Jacob. Sie landeten beide im Krankenhaus und Jacob schwor sich, Jura zu studieren oder zur Polizei zu gehen. Er machte beides. Erstes Staatsexamen, dann Polizeiausbildung. Um perfekt zu sein, heiratete er eine Staatsanwältin. Seit sie geschieden sind, haben beide wieder ihren Frieden und helfen sich beruflich gegenseitig. Eine neue Liebe ist für Jacob nicht in Sicht. Er weiß inzwischen, dass er oft Frauen begehrt, die ihn nicht haben wollen. Obwohl er mit seinen ein Meter achtzig, dem Dreitagebart und den schwarzen Locken gut aussieht, aber er macht nichts her und hat gar keine Lust auf ein Leben mit Angebereien und all dem modische Gedöns. Irgendwie bleibt er immer der Bauern- und Arbeitersohn. Bei der Polizei ist er angesehen.
Jacobs Mutter ist eine geborene Otterpohl, urwestfälische Bauern. Sein Vater war als Arbeiter aus Tuchola in Polen gekommen und hatte einen kleinen Gartenbaubetrieb übernommen. Inzwischen haben acht Arbeiter ihr Auskommen. Zusammen mit dem Hofladen, mit den Erdbeeren- und Spargelfeldern, mit Obstanbau kommen Jacobs Eltern und seine jüngste Schwester, die den Hof übernehmen will, über die Runden.
Der Kriminalhauptkommissar fühlt sich da, wo er jetzt ist, wohl. Er will nicht weiter nach oben. Er will mit seinen Polizisten Gewaltverbrechen in Ruhe und gründlich aufklären, er will Verbrechen verhindern, weswegen er immer wieder in Schulen und Jugendzentren geht, an der Polizeischule unterrichtet.
Er lebt in Münster in der Klosterstraße, nahe der Synagoge und der Clemenskirche, neben einer Brasserie und dem Stadtmuseum.